#Kopfkirmes

– Das Leben mit der Kopfkirmes –

Die Sache mit der eigenen Leistungsgrenze

Das manchmal der berühmte „Akku“ einfach leer ist, muss ich wohl niemanden erzählen. Weder „Neurodiversen“ Menschen, noch „Normalos“. Zigtausende Faktoren saugen den Tag über an unserem eigenen Akku und nötigen uns – mal früher, mal später – eine Pause und damit das verbundene „Aufladen“ ab… Und das ist auch gut so, ich persönlich finde die Vorstellung ziemlich gruselig, wenn unser Akku „unendlich“ halten würde und wird ohne Pausen „durchlaufen“ würden…

Allerdings habe ich, gerade nach der AD(H)S Diagnose, in letzter Zeit mal etwas genauer hingeschaut was mein „Ladestand“ so macht, wie er auf äußere Einflüsse reagiert und wie ich ihn „beeinflussen“ kann, vielleicht doch (ein bisschen) länger durchzuhalten. Dazu muss ich sagen, dass ich vor der AD(H)S Diagnose lange Jahre nicht wirklich gut auf mich geachtet habe. Zum Beispiel haben sich mir meine ersten zwei Jahre als Fahrlehrer (Ja in der Tat, ich war mal Fahrlehrer! Dazu aber irgendwann mehr) sehr (negativ) eingebrannt. Frisch geprüft, mit – damals – noch viel Elan für den Beruf und die Schüler, habe ich durchgezogen, als gäbe es kein Morgen mehr. Zwar habe ich nicht 24/7 durchgearbeitet, ging auch gar nicht weil ich einen relativ weiten Anfahrtsweg zur Arbeit hatte, trotzdem habe ich wenig auf mich geachtet bzw. habe wenig Rücksicht auf gewisse Warnsignale genommen. So hat es bspw. bestimmt ein Dreivierteljahr gedauert, bis ich das erste Mal wirklich über „Urlaub“ nachgedacht habe, den dann auch eingereicht habe und quasi „auf den letzten Drücker“ zum Jahresende genommen habe. Und auch nicht wirklich lange, weil ich ich ja „so geil“ aufs Arbeiten war. Aber auch über den Arbeitstag hinweg, habe ich irgendwie immer versucht, ein Schüler nach den anderen – am besten noch nahtlos – aneinander zu reihen. Man muss ja was schaffen…

Zudem bin ich wohl damals auch einfach während der Ausbildung so konditioniert worden (Berühmter Spruch unter Fahrlehrern: „Das Auto muss rollen, sonst macht es keinen Umsatz!!!“), außerdem habe ich damals schlicht & ergreifend auch noch gar nicht meine eigenen Leistungsgrenzen erkannt/erkennen wollen (Obwohl ich durchaus schon den ein oder anderen Klinikaufenthalt und die ein o. andere Diagnose hinter mir hatte!). Das führte in den (kurzen) Auszeiten dann dazu, dass ich ziemlich angespannt, ekelig gegenüber meinem Umfeld war und mir irgendwann selbst auf die Nerven gegangen bin. Und das im Urlaub/der Zeit in der man ja eigentlich „runterkommen“ sollte.

Wahrscheinlich habe ich aber mit der vergleichsweise vielen Arbeit irgendwo auch meine ganz persönliche (und damals nicht kleinen!) Unsicherheit kompensiert. Bin ich gut genug (im Job)? Schaffe ich das alle wirklich? Ist es noch Herausforderung oder schon Überforderung? Fragen, die ein ADSler wohl nur zu gut kennt… Aber anstatt damals mal in mich zu gehen (auch ohne Diagnose), habe ich die kleinsten Bedenken weggestoßen und habe quasi einfach weitergemacht. Selbst bei allen Stellen, die danach kamen. Eigentlich war ich erst bei der Anstellung soweit wirklich weniger zu arbeiten, bei der es am Ende auch so massiv geknallt hat (Mit Kündigung und Gerichtsverfahren… Bla… Story für eine ganze Reihe eigener Beiträge!). Dort aber auch weniger auch „Selfcare“ heraus, sondern viel mehr weil der Chef so ein Idiot war und im Endeffekt alle sein Angestellte wie den Dreck unter den Fingernägeln behandelt hat. Das war damals also vielmehr eine Trotzreaktion (Oder vielleicht auch eine Grenzüberschreitung wg. der #Kopfkirmes… Nur halt damals noch unbewusst).

Aber zurück zum Thema… 😉🙄

Mit dem ganzen Chaos rund um den Job als Fahrlehrer und das ich ihn letztendlich auch (gar nicht mal so lange vor der AD(H)S Diagnose) an den Nagel gehängt habe, ist bei mir das Bewusstsein um meine eigenen (Leistungs)Grenzen deutlich gestiegen. Auch weil ich natürlich irgendwann (körperlich) gemerkt habe, dass es nicht mehr geht (Hallo Rücken!), aber eben auch absolut mit der Psyche am Ende war und im Endeffekt nur noch Flickschusterei mit meiner #Kopkirmes betrieben habe. Ganz deutlich wurde es mir dann aber, als ich mich im Zuge der AD(H)S Diagnose, mit der s.g. „Spoon Theory [1]“ beschäftigt habe.

Die „Spoon Theory“ oder „Löffeltheorie“ besagt, dass jeder Mensch eine gewisse Anzahl an Löffel pro Tag zu Verfügung hat, diese Löffel bei jeglicher Aktivität verbraucht werden und man dann eben irgendwann an seine Leistungsgrenze ankommt. Nach dieser Theorie haben chronisch kranke/neurodiverse Menschen allerdings A) schon mal von Grund auf weniger Löffel zur Verfügung pro Tag und B) werden bei ihnen für die selben (durchaus alltäglichen Aktivitäten wie z.B. Duschen) wesentlich mehr Löffel verbraucht.

Das ist ein wirklich schönes „Sinnbild“, ich bin allerdings – ganz „nerdig“ – eher der Freund einer tatsächlichen „Akku Metapher“. Für mich habe die meisten Nicht-Neurodiversen Menschen einen Akkustand im Normalfall von 90-100% pro Tag. Menschen mit chronischen Erkrankungen habe allerdings vielleicht grad mal 30-40% Akkustand pro Tag. „Müssen“ aber nicht selten eben eine ähnliche Tagestruktur schaffen, wie die „Normalos“. Und da geht es schon los… Haushalt, Arbeit, Freizeit, soziale Kontakte… All das versucht man als Neurodiverser Mensch in die 30-40% zu packen und scheitert nicht selten schon bei der bloßen Vorstellung daran…

Auch ich hatte eine Phase (so kurz nach der Diagnose), in der mir das schier unmöglich erschien und ich mich nicht selten hab von meinen „dunklen“ Gedanken leiten lassen („Vollidiot… Nix schaffst Du! Nicht mal die kleinste Kleinigkeit!“). So etwas war natürlich völlig kontraproduktiv. Daher habe ich dann mal angefangen, im Zuge der ersten Schritte mit der Medikation, zu schauen wo den meine Leistung „gezogen“ wird und wie ich sie wieder (etwas) aufladen kann. Tatsächlich ist es bei mir recht simple…

Selbsterkenntnis, dass ich eben aufgrund des ADS (momentan) nicht so viel schaffe wie eventuell ein gesunder Mensch. Schlicht und ergreifend. Nicht selten wird man von seinen Emotionen einfach überrollt, was in dem Moment so viel Akku zieht, dass man oftmals danach sprichwörtlich „leer“ ist. Oder auch das eben (kleinste) Alltagsaufgaben wie z.B ein Telefonat, etwas organisieren, Bürokram, der Haushalt o.ä. manchmal eben so ein krasser Akkufresser ist, dass man fast nix anders kann als total erschöpft „zusammenzubrechen“. Und auch die Akzeptanz für diesen Umstand… Dass man eben oft sehr viel schneller an seine Grenzen kommt… Hat mir ganz enorm geholfen, besser damit und auch beim Erkennen eigener Grenzen , umzugehen. Besonders habe ich das jetzt im (finalen) Umgang mit meinen (baldig notwendigen) Umzug bemerkt… Ich muss hier am Jahresende raus sein, also habe ich schon Anfang Oktober angefangen Kisten/Dinge zu packen. Einfach weil ich da (inzwischen) wusste, dass ich es eben ganz sicher mit meiner geringe Akkukapazität sicherlich nicht innerhalb einer o. zwei Wochen schaffe, aber auch weil ich mir eben ganz bewusst Platz für Pausen/Abstand genommen habe. Mal ein bis zwei Kartons pro Tag, mal das eine Zimmer zur Hälfte an dem einen Tag, dann die andere Hälfte am nächsten Tag, dazwischen immer wieder Pausen & Dinge getan, die mir und meiner #Kopfkirmes gut getan habe. Und somit dafür gesorgt haben, dass mein Akku wieder etwas aufgeladen wird und nicht ständig an den 5% rumkratzt, mich im Endeffekt wieder in ein völliges Leistungsloch zieht und ich dann am Ende gar nix mehr schaffe…

Dann doch lieber langsam, mit Bedacht und einer gehörigen Portion „Selbstfürsorge“…

Dafür fühlt es sich aber tausendmal besser an, als wenn man sich den (vermeidlichen) Druck von außen hingibt und daran eventuell auch zu Grunde geht. Es auf eigene Art & Weise, im ganz eigenen Tempo machen… Ich glaube, dass ich wirklich mein großes Credo seitdem. Auch wenn mein Hirn – zugegeben – an manchen Tagen noch etwas damit „struggelt“… Alte, eingefahrene und nicht immer positive Denkmuster bekommt man eben (leider!) nicht von heute auf morgen weg…

Was habt Ihr für Strategien entwickelt, um mit dem „wenig“ Akku so gut wie möglich zu „haushalten“? Wo sind Eure „Sweetspots“ in Sachen eigener Grenzen? Und wie entspannt/ladet Ihr Euren Akku wieder auf?

P.S.: Und bitte nicht vergessen: Nur weil Neurodiverse Menschen einen vielleicht nicht so „vollen“ Akku haben wie andere Menschen… Heißt das noch lange nicht, dass wie nicht auch Leistung erbringen. Ganz im Gegenteil… Denn wir geben mit unseren vielleicht 30% genauso 100% wie Menschen mit vollen Akku…🙌

Disclaimer:
Heute, wohl aufgrund der Medikation, bloß „nur“ ne knappe Stunde an dem Beitrag gesessen, zum Teil auch im Hyperfokus, viel weniger abgelenkt. Und das bei „nur“ 10mg MPH vor etwa 2h.

Artikelbild von นพเก้า ตุลาทอง auf Pixabay

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