#Kopfkirmes

– Das Leben mit der Kopfkirmes –

Wie sich Diagnosen im Laufe der Zeit verändern (können)…

Lasst uns heute mal über Diagnosen (psychischer) Krankheiten sprechen… 😉

Klar… Ein gebrochenes Bein ist meisten in der Tat ein gebrochenes Bein. Auch eine Erkältung kann man fast schon selbst ziemlich Zielsicher diagnostizieren. Aber wie sieht das bei psychischen Erkrankungen aus?! Ist da eine Diagnose, wenn sie einmal „Schwarz auf Weiß“ festgehalten worden ist, tatsächlich auch in Stein gemeißelt?! Mitnichten… Wie ich inzwischen selbst erfahren durfte… 🙃

Wer hier vielleicht von „Beginn an“ mit dabei ist (Wobei mir jetzt beim Schreiben aufgefallen ist, dass ich den Blog mit der jetzigen Ausrichtung tatsächlich auch „erst“ seit 2018 betreibe… 😄), der wird eventuell noch meine Beiträge zur (meiner eigenen – angeblichen) Narzisstischen Persönlichkeitsstörung (NPS) erinnern. Die erste fachliche Diagnose zu diesem Störungsbild ist in der Tat schon deutlich älter als das Blog hier, ich habe 2005/2006 zuerst eine Verdachts- dann im Jahr darauf eine „gesicherte“ Diagnose bekommen. Ich schreibe das jetzt inzwischen in Anführungsstrichen, da seit der letzten ambulanten Therapie aber auch inzwischen von meiner Fachärztin ganz arg angezweifelt wird, dass die Diagnose noch Bestand hat. Auch gerade mit der neusten (gesicherten) AD(H)S Diagnose…

Man muss allerdings auch mal den zeitlichen Rahmen betrachten, in dem die NPS-Diagnose gestellt worden ist. Auch wenn es Anfang des Jahrtausend schon ganz okay war was die Diagnose & Behandlung von psychischen Erkrankungen angeht, so ist inzwischen – bald 20 Jahre weiter – schon eine ganz andere Hausnummer. Aus meiner Erfahrung heraus wird spürbar differenzierter „hingeschaut“ (hingehört?!), man hat selbst bei der (bitte nicht falsch verstehen!) „Brot & Butter Diagnose“ Depression eine wesentlich vielschichtigere Testung… Zudem sitzt dem Patienten natürlich inzwischen auch eine „neue“ Generation an Psychiatern/Therapeuten gegenüber. Ich hab das 2018 beim meinem letzten Klinikaufenthalt festgestellt. Die junge Ärzte & Therapeuten brachten wirklich einen frischen Wind mit… Auch in Sachen Diagnostik (Dort wurde in der Tat das erste Mal der Verdacht auf die AD(H)S geäußert) und Therapiebegleitung. Damals beim erste/zweiten Klinikaufenthalt war der Therapeut – grad rückwirkend gesehen – doch schon ein bisschen „angestaubt“.

Natürlich kam nicht nur deswegen die Diagnose der NPS Zustande. Auch habe ich mich damals wohl zum einem noch gar nicht so „gut“ selbst einschätzen könne, außerdem werde ich wohl selbst dort ind er Klinik noch heftiges „Masking“ betrieben haben. Das da dann eventuell auch mal ein „Fachmann“ mit seiner Diagnose daneben liegt… Für mich als „Betroffener“ wenig verwunderlich.

Leider habe ich selbst die Diagnose einer NPS ziemlich lange mit mir rumgetragen, vielleicht auch zu lange nicht wirklich hinterfragt. Anfangs war es auch sehr großes Stigma für mich selbst. Ist die Diagnose NPS auch heutzutage nicht selten bei anderen Menschen noch sehr „negativ“ behaftet. Das macht es Betroffene leider immer noch sehr schwer, damit selbst aber auch gegenüber anderen Menschen „offen“ umzugehen. Ist aber ein anderes Thema… 😉

Viel mehr möchte auf ein paar „Schnittpunkte“ zwischen den Diagnosen NPS & AD(H)S eingehen, die mir vor allem in den letzten zwei Jahren sehr deutlich aufgefallen sind…

  • Impulsivität (besonders emotionale): Ja, das war und bin ich nach wie vor noch sehr. Mir fehlt bei jeglichen Emotionen – ganz egal ob positiv oder negativ – die Impulskontrolle. Auf der einen Seite kann ich mich einen Ast in den Po freuen… selbst bei Kleinigkeiten, auf der anderen Seite kann ich bei negativen Emotionen explodieren wie ein Vulkan. Und gerade dieses sehr explosive (und zurecht nach außen hin sehr Angsteinflößendes) Verhalten war für den Therapeuten damals anno 2006 ein sehr deutlich Indiz auf eine NPS. Das ich mein Leben lang nicht vernünftig gelernt habe mit meiner deutlich überhöhten Emotionsimpulsen umzugehen, wundert mich das wenig. Es war (und ist leider auch och zum Teil) meine Strategie, gerade negative „Verletzungen“ mit explosiver Impulsivität zu beantworten (Was übrigens ADSler nicht selten tun… Erlernte Mechanismen und so).

  • Das vermeintlich sehr egozentrische Auftreten/Verhalten ggü anderer Menschen. Auch hier wieder: Ja, das war/bin ich zum Teil noch, wenn man als „Richtschnur“ die NPS nimmt, kann so ein Auftreten sicherlich auch ohne „schlechtes Gewissen“ bei der Diagnostik einer NPS abhaken. Allerdings habe ich inzwischen auch in dieser Hinsicht gelernt, dass ich mir da aus Angst vor – vermeidlich – negativen Reaktionen meiner Mitmenschen , eine Art von Schutzmauer aufgebaut habe. Da spielt noch eine ganze Menge Misstrauen aufgrund (sehr) alter Traumata eine Rolle, aber im Alltag kann ich wirklich häufig sehr egozentrisch wirken. Spräche ja im Grunde auch für eine NPS. Wenn es eben nicht aus einem völlig anderen „Beweggrund“ zustande kommt…

  • Gedankenlosigkeit ggü andere Menschen. Anderen ADSlern muss ich dazu wohl nichts erzählen… „Oh ein Eichhörnchen! Was war noch gleich die Frage?!“ – Das kann manchmal sicherlich beim Gegenüber als Gedankenlosigkeit/Gleichgültigkeit der eigenen Person herüberkommen. Das wir ADSler allerdings häufig zig mal mehr Sinneseindrücke aufnehmen als „Normalos“, hat weder etwas mit Gleichgültigkeit oder Gedankenlosigkeit ggü andere Menschen zu tun. Und eben in meinem Fall noch viel weniger als mutwilliges Verhalten ggü anderer Menschen ganz im Gegenteil…

  • Empathie – Oder wie sie mir damals (zurecht?!) abgesprochen worden ist. Denn ich muss ja eine NPS haben. Und Narzissten sind nicht empathisch! Oder so. Darunter (unter der angeblichen Empathielosigkeit) habe ich in der Tat auch lange Zeit gelitten. War es für mich selbst doch ein ziemliches Chaos in Sachen Empathie in meinen Kopf. Rückblickend war ich schon immer sehr „sensibel“ was Empathie angeht. Schon als Kind. Meine Antennen haben bei der kleinsten Regung von Gefühlen/Emotionen anfangen zu „empfangen“. Irgendwann im Jugendalter hat mich das dann allerdings sehr belastet… Hey, ich bin ein Kerl, ich kann doch jetzt nicht hochemphatisch sein! Das ist doch nicht cool. Also habe ich im wahrsten Sinne des Wortes einen Deckel drauf gemacht und hab begonnen einfach nicht mehr empathisch zu sein. Später mit der ersten Berufserfahrung habe ich zwar versucht mich wieder für Gefühle anderer zu öffnen, habe es aber nach ein paar wenigen aber sehr heftig negativen Rückmeldungen wieder sein lassen. Damit hat sich dieser (nach außen hin= „Gefühlskalte“ Panzer manifestiert. Und ich habe auch aufgrund dessen, Jahre später die Diagnose einer angeblichen NPS bekommen. Auch hier habe ich erst in den letzten Jahren gelernt mich wieder zu öffnen, dabei aber ganz arg auf meine ganz persönlichen Leistungsgrenzen in Sachen Emotionen/Gefühle anderer Menschen zu achten. Und es inzwischen auch ganz offen anzusprechen, wenn es mir persönlich einfach zu viel wird. Kommunizieren, dass man gerade an eine Grenze kommt… Aber eben nicht aus Böswilligkeit „abschaltet“…

Ich könnte jetzt noch ein paar andere „Kleinigkeiten“/Überschneidungen ansprechen, die eventuell eine „falsche“ Diagnose damals begünstig habe, allerdings würde das den Rahmen wohl sprengen. Eigentlich möchte ich nur drauf hinweisen, dass man eben nicht „stehen bleiben“ sollte, auch wenn einmal etwas „Schwarz auf Weiß“ steht. Gerade im Bereich von psychischen Erkrankungen ist die Diagnostik/Behandlung (zum Glück) ein stetiges Ändern/Veränderungen von Herangehensweisen. Es ist eine Art von Flow, der zum Glück nicht mehr in Stein gemeißelt sein muss. Als Betroffener, aber auch Angehöriger und auch Behandler darf und sollte man regelmäßig Diagnosen hinterfragen. Um eben genau ein „festmeißeln“ zu vermeiden…

Ich „ärgere“ mich nur noch selten, dass ich so eine lange Zeit mit einer vermeidlich völlig falschen Diagnose durchs Leben gegangen bin… Viel mehr sehe ich es inzwischen als Chance auch etwas über mich und meine gesamte #Kopfkirmes zu lernen. Führt doch eins zum anderen, die eine Diagnose eventuell auf genau den Weg zu einer anderen/richtigen Diagnose…

Artikelbild von Mohamed Hassan auf Pixabay

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